Mittwoch, 6. November 2024

"Wir wissen, dass Trump sehr gewerkschaftsfeindlich ist"

 Interview mit dem US-Historiker Eric Loomis



Die US-Gewerkschaften haben in den vergangenen Jahren wieder etwas an Kraft gewonnen. Wieviel Macht haben sie heute?

Die Gewerkschaften sind in den USA so populär wie nie zuvor. Viele Menschen sind mit ihren Arbeitsplätzen unzufrieden und sehen in den Gewerkschaften einen möglichen Weg in die Zukunft. Deshalb haben wir eine Zunahme der Streiks erlebt. Und einige von ihnen haben echte Erfolge erzielt. Allerdings sind die Zahl der Mitglieder und die Macht der Gewerkschaften gleichgeblieben. Der Grund dafür ist, dass die Unternehmen den arbeitsrechtlichen Apparat kontrollieren. Sie können den gesamten innerbetrieblichen Wahlprozess verlangsamen, enorme gewerkschaftsfeindliche Kampagnen durchführen usw. In einigen kleinen Bereichen gibt es Fortschritte, aber die Gesamtmacht der Gewerkschaften in diesem Land bleibt unverändert.

Sie haben geschrieben, dass der Erfolg der Arbeiterklasse von der Sympathie der Regierung abhängt. Würden Sie Präsident Bidens Haltung gegenüber den Gewerkschaften mit der von Franklin D. Roosevelt vergleichen?

Biden zeigt sowohl die Möglichkeiten als auch die Grenzen im heutigen Kontext auf. Er ist der gewerkschaftsfreundlichste Präsident seit sehr langer Zeit. Die demokratischen Präsidenten von den 70er Jahren bis hin zu Obama hatten nicht wirklich viele Verbindungen zur Gewerkschaftsbewegung. Biden hat das Spielfeld ein wenig neu abgesteckt: Die Bundesbehörde zur Überwachung der Arbeitsbeziehungen reagiert besser, es gibt mehr Regulierung. Auch auf der Exekutivebene wurde einiges getan: Ein Unternehmen wie McDonald’s beispielsweise kann nun nicht mehr Verantwortung abschieben, indem es sagt, dass die einzelne Filiale der eigentliche Arbeitgeber ist. Das sind Dinge, die wichtig sind, denn es ändert die Bedingungen für die Unternehmen, jeden Aspekt der Arbeit zu kontrollieren und keine Verantwortung zu tragen.

Aber: Solange die Gewerkschaften nicht den nötigen politischen Einfluss im Kongress bekommen, um ein umfassendes Arbeitsgesetz zu verabschieden, das Problemen wie den gewerkschaftsfeindlichen Taktiken der Unternehmen begegnen kann, werden sie keinen echten Machtzuwachs erleben. Wenn man sich also einen Präsidenten ansieht, muss man auch den Kongress im Auge behalten. Roosevelt verfügte über eine starke Position im Kongress, denn die Republikaner waren dort in den 1930er Jahren quasi ausgelöscht. Obwohl bei weitem nicht alle Demokraten gewerkschaftsfreundlich waren, war die legislative Mehrheit so groß, dass sie entsprechende Gesetze trotzdem durchsetzen konnten. Allerdings muss man einige Einschränkungen berücksichtigen, denn auch mit diesen riesigen Mehrheiten konnten die Gesetze nur durch rassistische Kompromisse durchgesetzt werden, die schwarze Arbeiter im Süden ausschlossen. Biden ist hingegen heute weit von einer Kongressmehrheit entfernt. Die Behauptung, Biden sei der arbeiterfreundlichste Präsident seit Roosevelt, ist vertretbar, aber die Bedingungen sind sehr unterschiedlich.


Trump setzt auf Protektionismus. Unter welchen Bedingungen würde die Arbeiterklasse davon profitieren?

Wahrscheinlich in keinem Szenario. Eines der Dinge, die wir über den Handel verstehen müssen, ist, dass man den Geist nicht zurück in die Flasche stecken kann. Es gibt eine theoretische Welt, in der wir wieder viel in den USA produzieren, viele Menschen in Arbeit bringen und die Industrie zurückholen. Aber da gibt es eine Reihe von Problemen. Es gibt nicht viele Menschen, die die vor Jahrzehnten ausgelagerten Tätigkeiten machen wollen. Vor allem, wenn man Trumps Einwanderungspolitik in den Blick nimmt, die ja sein wichtigstes Anliegen ist und die die Zahl der Arbeitskräfte erheblich reduzieren würde. Die Arbeitsplätze, die wieder entstehen werden, werden sowieso hoch automatisiert sein. Es wird nie wieder 50.000 Arbeiter am River Rouge in Michigan geben wie in den 30er Jahren. Protektionismus würde außerdem zu höheren Kosten und höheren Preisen führen. Das könnte akzeptabel sein, wenn die Löhne der Beschäftigten über der Inflation liegen. Aber wir wissen, dass Trump sehr gewerkschaftsfeindlich ist.

Ein großer Teil der Anziehungskraft von Trump auf Arbeiter hat mit Nos­talgie zu tun. Er ist ein Mann der 50er und 60er Jahre. Und ein Mann der Frank-Sinatra-Werte. Deshalb spricht er besonders Männer an, die glauben, dass die Art und Weise, wie Männer angeblich sein sollten, in vielen Kreisen nicht mehr akzeptabel ist. Sexuelle Gewalt, Schwulenfeindlichkeit, die Vorstellung, dass wir in Amerika alles selbst machen – das sind die idealisierten 50er Jahre, und das ist für viele Menschen tatsächlich attraktiv. Trump richtet seine Appelle tatsächlich sehr explizit an die Arbeiterklasse – und einige Gewerkschaften haben da angebissen. Aber es ist kein realistischer Plan, um Arbeitsplätze zurückzubringen. Sie machen sich nur eine Nostalgie und Wut gegen die Eliten zu eigen, die diese Arbeitsplätze angeblich exportiert haben. Das ist sicher eine komplexere Geschichte, aber fest steht, dass sie nicht zurückkommen werden. Ich erinnere mich, als Trump 2016 eine große Sache daraus machte, zu diesem Klimaanlagenhersteller in Indiana zu gehen. Er sagte: »Sie werden nicht schließen, was auch immer geschieht.« Und dann, sechs Monate später, tun sie es trotzdem, und er sagt: nichts. Genau das werden wir erleben, wenn er gewinnt. Aber in einer Zeit, in der Kulturkämpfe so zentral sind, bedeutet das nicht, dass Trump nicht weiterhin in der Lage sein wird, diese Ader des Ressentiments anzuzapfen.

Einige Gewerkschaften haben sich in der aktuellen öffentlichen Debatte zum Krieg im Nahen Osten positioniert. Wie haben sich die Gewerkschaften in der Vergangenheit zur US-Außenpolitik positioniert, und welchen Einfluss haben sie tatsächlich?

Anders als in Europa, wo die Linke im allgemeinen weiter entwickelt ist als in den USA, gibt es einige historische Beispiele von Gewerkschaften, die sich gegen den amerikanischen Militarismus gestellt haben, wie die Industrial Workers of the World vor langer Zeit. Die meiste Zeit waren die amerikanischen Gewerkschaften aber für Krieg, und das sieht man besonders im Kalten Krieg. Auch davor, während des Zweiten Weltkriegs, waren alle an Bord, aber im Kalten Krieg wurden die Dinge wirklich schlecht. Ein alter Witz besagt, dass die AFL-CIO (US-Gewerkschaftsdachverband, jW) in Wirklichkeit die AFL-CIA ist. Die Gewerkschaftsverbände arbeiteten offen als Helfer der CIA und des Außenministeriums und halfen beim Sturz von Regierungen in Übersee, etwa in Chile 1973. Sie waren vor Ort mit rechtsgerichteten Gewerkschaften sehr aktiv, um die linksgerichteten Gewerkschaften zu untergraben und das Szenario zu schaffen, durch das Pinochet den Putsch vollziehen konnte. Tatsächlich hat der linke Flügel der Gewerkschaftsbewegung, insbesondere nach Vietnam, dies sehr kritisch gesehen, aber viele der Leute des rechten Flügels sind heute weiterhin einflussreich in den Gewerkschaften und leiten sie manchmal sogar. Ich weiß zum Beispiel, dass das Archiv der AFL-CIO an der Universität von Maryland Historikern wie mir keinen Zugang zu diesen Dokumenten gewährt. Die Geschichte der amerikanischen Gewerkschaften in bezug auf die Außenpolitik ist insgesamt nicht gut, und dazu gehört auch der Vietnamkrieg, in dem George Meany – damals Vorsitzender der ­AFL-CIO – sich weigerte, den demokratischen Präsidentschaftskandidaten zu unterstützen, weil Meany mehr daran interessiert war, Kommunisten zu töten, als die gewerkschaftliche Organisierung in den Vereinigten Staaten zu fördern.

Wenn wir heute über Gaza sprechen, haben einige kleinere Gewerkschaften, die politisch besonders fortschrittlich sind, einen Schritt nach vorn gemacht. Meistens handelt es sich dabei um Gewerkschaftsbewegungen im Hochschulbereich, die Studenten, Lehrkräfte und Mitarbeiter umfassen. Aber das ist nur ein sehr kleiner Teil der amerikanischen Arbeiterbewegung. Es wäre sehr ungewöhnlich, wenn die amerikanische Gewerkschaftsbewegung im allgemeinen ernsthafte Schritte unternehmen würde, um sich zu diesem Thema zu äußern. Vielleicht sind sie hinter den Kulissen gespaltener, aber öffentlich schweigen die meisten von ihnen.

Quelle: junge Welt, 31.Oktober 2024, S.15


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