Gespräch mit der Gewerkschafterin Ulrike Eifler
Wo gibt es momentan Friedensinitiativen in den Gewerkschaften und was machen sie?
Es gibt eine ganze Reihe: In Hanau haben IG Metall und Verdi 2022 und 2023 ihre Warnstreiks gemeinsam mit
der Hanauer Friedensplattform organisiert. Der Verdi-Bezirk Stuttgart hat mit
der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Juni eine Gewerkschaftskonferenz für den Frieden
durchgeführt, die eine nicht unerhebliche Wirkung auf die gewerkschaftliche
Debatte hatte. Die Landesmitgliederversammlungen der GEW in Berlin und Hamburg
haben beschlossen, den Aufruf »Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg« zu
unterstützen. Die GEW in Bayern hat gerade ein ganzes Seminar zur Zeitenwende
veranstaltet. Der Arbeitskreis Internationalismus bei der IG Metall in Berlin
organisiert Diskussionen zum Stellenwert der Gewerkschaften in der
Friedensbewegung. Rund um den 1. September gibt es natürlich auch überall
Veranstaltungen. Ich selber werde zum Beispiel bei Verdi in Siegen sprechen.
Das bestätigt meinen Eindruck: Es gibt viele Appelle und
Petitionen, oft werden sie von den gleichen Aktiven unterschrieben. Dann gibt
es Seminare und zu den großen Jahrestagen, wie dem Antikriegstag am 1.
September, eine Reihe von Veranstaltungen und vielleicht auch Demonstrationen.
Druck erzeugt das nicht.
Das reicht
natürlich nicht aus. Das Problem ist, dass wir in der gesamten
Nachkriegsgeschichte eine Trennung hatten zwischen der Friedensfrage und der
sozialen Frage. Auf den Ostermärschen und am 1. September haben die
Gewerkschaften über Frieden gesprochen und in den Tarifrunden über
Tarifpolitik. Aber dass beides zusammengehört, dass jeder Euro, der in
Rüstungshaushalten versenkt wird, für eine gute Bildung, Sozialpolitik,
Familienpolitik und jetzt auch für den sozial-ökologischen Umbau fehlt – das
haben wir nicht thematisiert. Und das hängt natürlich auch damit zusammen, dass
wir seit 80 Jahren in Frieden leben und es nicht unbedingt die Notwendigkeit
dafür gab. Das muss sich jetzt ändern.
Es gab zwei gewerkschaftspolitische Friedenskonferenzen im
letzten und in diesem Jahr, die Sie federführend mitorganisiert haben. Gibt es
seit letztem Jahr einen Fortschritt beim friedenspolitischen Engagement der
Gewerkschaften?
Die
Friedensbewegung ist organisatorisch geschwächt. Mit SPD und Grünen haben sich
zwei wichtige Pfeiler aus der Friedensbewegung der letzten Jahrzehnte
verabschiedet. Auch Die Linke zaudert in der Friedensfrage. Das wirkt sich
natürlich auch auf die Frage aus, wie sich die Gewerkschaften in der
Friedensbewegung positionieren. Vor diesem Hintergrund können unsere
Friedenskonferenzen ein Ort der Verständigung sein. Aber sie können den Aufbau
von Strukturen nicht ersetzen. Nichtsdestotrotz haben die Konferenzen ein
Zeichen gesetzt. In Stuttgart konnten wir die Teilnehmerzahl im Vergleich zum
letzten Jahr verdoppeln: Insgesamt 1.000 Teilnehmer vor Ort und online machen
deutlich, wie stark das Bedürfnis nach Orientierung und Debatte ist.
Wie groß ist denn der Einfluss von diesen kritischen
Gewerkschaftern und Initiativen in den Apparat hinein? Auf dem letzten Verdi-Bundeskongress
wurde die Debatte um Krieg und Frieden ja z. B. buchstäblich abgewürgt.
Die
Bundesregierung versucht die Zeitenwende mit allen Mitteln durchzusetzen. Das
führt zu widersprüchlichen Diskussionen in der gesamten Gesellschaft und
letztlich auch in den Gewerkschaften. Es sind Erfolge auf den
Gewerkschaftstagen von Verdi, dem DGB und der IG Metall erzielt worden, die uns
Beinfreiheit geben, die Friedensfrage zu diskutieren.
Können Sie Beispiele nennen, wo sich die Antimilitaristen mit ihren Positionen durchsetzen konnten? Zum Beispiel beim Gewerkschaftstag der IG Metall 2023?