Rede von Aminata Dramane Traoré
Am 20. November hat die malische Autorin und politische Aktivistin Aminata Dramane Traoré den »Blue Planet Award« der Stiftung Ethecon – Ethik & Ökonomie erhalten. Die frühere Kultur- und Tourismusministerin, die sich selbst als »eine Frau, die gegen einen Männerkrieg aufsteht« sieht, nahm die Ehrung virtuell bei der Schaltkonferenz zur Preisverleihung in Malis Hauptstadt Bamako entgegen. Im folgenden dokumentieren wir die Dankesrede von Traoré in leicht redigierter und gekürzter Fassung.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Mitglieder des Kuratoriums und des Vorstands der Stiftung Ethik und Ökonomie – Ethecon. Es ist mir eine große Freude, den »Internationalen Blue Planet Award« 2021 entgegenzunehmen. Das ist für mich eine große Ehre.
Ich spreche als Frau, Afrikanerin, Sahelianerin in einer Situation des »Krieges gegen den Terrorismus«. Die erste und wichtigste Lehre, die ich aus dieser Situation ziehe, ist der Angriff auf die persönlichen Freiheiten und die politische Souveränität meines Landes.
Mit dieser Zeremonie geben Sie mir die Gelegenheit, in Berlin zu sein, wenn auch aufgrund der mit Covid-19 verbundenen Einschränkungen nur aus der Ferne, um laut und deutlich zu sagen, was Frankreich 2013 zu verhindern versuchte, indem es mir ein Visum für die Einreise in den Schengen-Raum verweigerte. Einige von Ihnen werden sich erinnern, dass ich im April 2013 von der Partei Die Linke und der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu einer Debatte über »Mali am Scheideweg, nach der Militärintervention und vor den Wahlen« eingeladen wurde.
Das Thema ist nach wie vor aktuell, da die Situation acht Jahre nach Beginn der »Opération Serval« noch lange nicht unter Kontrolle ist, eben weil es an Ethik mangelt, insbesondere an der Ethik der Entwicklung und der weltweiten Partnerschaft, zu der auch die französisch-euro-afrikanischen Beziehungen gehören.
Das Reiseverbot, das mich 2013 traf, betrifft derzeit 149 politische Persönlichkeiten, zusätzlich zum Einfrieren ihrer Vermögenswerte durch die Ecowas (Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten, jW), wegen der Nichteinhaltung des Wahltermins, der für den 27. Februar 2022 angesetzt war, und sicherlich wegen der Möglichkeit, mit dem privaten russischen Militärunternehmen Wagner zu kooperieren.
Die Gewinner des Kalten Krieges haben nicht vor, sich von der Russischen Föderation oder China überholen zu lassen. Der Kampf dreht sich um den Zugang zu den strategischen natürlichen Ressourcen der Welt, von denen Afrika einen gewaltigen Anteil besitzt, und um die Marktanteile.
In einer Zeit, in der der böse Wind der Rekolonialisierung weht, wende ich mich sowohl an Deutschland, den Hauptpartner Frankreichs in diesem verfluchten Krieg, als auch an die afrikanische Jugend, deren ungebrochene Mobilisierung und Entschlossenheit, sich eine Zukunft zu schaffen, Anlass zur Hoffnung gibt. Dieser 20. November 2021 verzeichnet eine neue Entwicklung: die Blockade eines Konvois der französischen Armee in Burkina Faso.
Ich möchte klarstellen, dass Mali nicht der »kranke Mann« der Sahelzone ist, der durch angeblich transparente Wahlen und den Kauf von Kriegswaffen geheilt werden muss. Das Land von Präsident Modibo Keïta (Präsident Malis von 1960–1968, jW) ist ein Schulbeispiel, eine wahre Fundgrube an Lehren, die es im Hinblick auf den Schutz Afrikas zu bedenken gilt. Nicht gegen den Dschihadismus, sondern gegen den Staatsterrorismus der Großmächte im Rahmen der Verteidigung der Interessen der multinationalen Konzerne.
Wo bleibt die Ethik, wenn Frankreich zusätzlich zu der bewusst verzerrten offiziellen Darstellung die Karte der »militärischen Geheimhaltung« spielt, wie in Bounti, wo Dorfbewohner, die sich zu einer Hochzeit versammelt hatten, Ziel eines Angriffs der »Barkhane«-Truppe wurden? Dasselbe gilt für die Kolonne von Dschihadisten, die von Konna aus offenbar nach Bamako gelangen wollte, um dort ein Kalifat zu errichten.
Der Einsatz ausländischer Bodentruppen hat nichts mit der tatsächlich angeforderten Luftunterstützung zu tun, so wie die 2011 vom UN-Sicherheitsrat verabschiedete Resolution 1973 zu einer »No fly zone« in Libyen keineswegs den Sturz des Regimes von Muammar Al-Ghaddafi und seine Ermordung erlauben sollte. Mali ist das erste Kollateralopfer dieser Staatslüge in Subsahara-Afrika, die es zu einem angegriffenen, besetzten und übermilitarisierten Land macht. Die Behauptung, dass transparente Wahlen die Lösung für das durch die Einmischung der kapitalistischen Mächte verursachte Chaos seien, ist in bezug auf Mali und Libyen unethisch.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat argumentiert, dass »der demokratische Übergang dazu dient, den Terrorismus besser zu bekämpfen«. Um welche Demokratie handelt es sich, wenn der französische Präsident sich gegenüber gewählten Führern durchsetzen kann, von ihnen im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus Rechenschaft fordert und die Hilferufe ihrer Völker ignoriert.
Was die Entwicklung betrifft, so ist das Wirtschaftsmodell, das in unseren Ländern angewandt wird, keineswegs ethisch. Es ist sowohl »Business« als auch ein Projekt der Verwestlichung, das als zivilisierend angesehen wird. Es geht darum, neben unseren Volkswirtschaften und Gesellschaften auch unser innerstes Selbst zu reformieren, um uns zu naiven Wählern und Konsumenten zu machen. Ein ausländischer Investor muss die Gewissheit haben, dass er möglichst viele Gewinne erwirtschaften und zurückführen kann – manchmal in Steuerparadiese – ohne vor Ort Steuern und Abgaben zu zahlen. Der CFA-Franc und die Militärbasen stehen im Dienste dieses Prozesses der Beherrschung und Ausplünderung Afrikas. Es sind die Lobbys der fossilen Energie-, der Rüstungs- und der Pharmaindustrie, die florieren, während die politischen Führer von Gipfel zu Gipfel den Völkern einschläfernde Reden halten.
Die militärische Intervention Frankreichs in Mali nach der Destabilisierung Libyens markiert einen wichtigen Schritt in der Militarisierung des Ansturms auf Afrika, um dessen Reichtümer im Namen der Terrorismusbekämpfung zu kontrollieren, und des nicht immer eingestandenen Krieges gegen Migrantinnen und Migranten. »Der Kampf gegen den Terrorismus ist das einzige, was unsere Präsenz auf Wunsch der Malier und der Ecowas rechtfertigt«, betonen die französischen Behörden. Der »Krieg gegen den Terrorismus« in der Sahelzone wird Staaten aufgezwungen, die neben den Nachwirkungen der Strukturanpassungsprogramme des IWF und der Weltbank, die auf die Namen Massenarmut und Massenarbeitslosigkeit hören, durch die extraktivistische Entwicklung gebeutelt sind. Diese Themen werden innerhalb unserer politischen Parteien und erst recht mit den technischen und finanziellen Partnern so gut wie nie diskutiert.
Es ist nicht ethisch, den Betroffenen die Wahrheit vorzuenthalten, ihnen
eine sogenannte Entwicklungspolitik aufzuzwingen, die sie verarmt und
unterwirft, und sich zu verbarrikadieren, wenn sie versuchen, dem Schicksal zu
entkommen, das ihnen auf diese Weise zugefügt wird.
Mauern werden errichtet – sichtbar und unsichtbar – auf der Grundlage von Angst
und manchmal auch Hass auf die Anderen, die Andersdenkenden, die oft als
minderwertig angesehen werden.
Männer, Frauen und Kinder fliehen aus ihren Ländern und lassen dabei einen Teil ihres Wesens und ihrer Träume zurück. Als Bonus wird ihnen gesagt: »Kommt nicht!«, »Bleibt zu Hause!«, »Geht weg!«, »Verschwindet, sterbt in der Wüste oder auf dem Meer, aber kommt vor allem nicht zu uns!« Die EU lagert ihre Grenzen aus und beauftragt afrikanische Länder mit politischer, institutioneller und militärischer Gewalt.
Der französische Präsident Emmanuel Macron kündigt die Richtung der Präsidentschaft des Europarats an, die er ab Januar 2022 übernehmen wird. Er wird beweisen müssen, dass er gegenüber Flüchtenden Härte gezeigt hat und zeigen wird. Er, der die militärische Präsenz seines Landes in der Sahelzone trotz aller Widrigkeiten aufrechterhalten will, will eigentlich die Frage der afrikanischen Einwanderung nach Frankreich und in die Europäische Union durch einen neuen Vertrag, wie er sagt, Europa/Afrika, regeln. Er will, ich zitiere: den Schutz vor illegaler Migration verbessern. Neue Einwanderer verhindern. Sie systematisch in ihre Herkunftsländer zurückführen, das heißt Abschieben. Und den Schengen-Raum reformieren.
Welche Beziehungen sollten wir angesichts der sicherheitspolitischen und militärischen Sackgasse, in der wir stecken, und im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2022 in Frankreich mit dem Deutschland nach Merkel ins Auge fassen?
Afrika ist nicht nur der Kontinent, der, ohne ein großer Umweltverschmutzer zu sein, den größten Tribut an die globale Erwärmung zahlen wird, sondern wird ohne einen Paradigmenwechsel in der Entwicklung noch stärker darunter leiden. Der Klimawandel verlangt ein Ende der endlosen Kriege. Ich glaube, ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass diese moralische und politische Forderung den Abzug der US-Armee aus Afghanistan zu einer ökologisch verantwortungsvollen Entscheidung macht. Die gleiche Antwort ist auch für die Sahelzone erforderlich. Der trügerische Rückzug der »Barkhane«-Truppe ist natürlich nicht das Ende des Krieges, sondern er hat zum Ziel, ihn durch »Takuba« (multinationale Truppe für die Region, jW) zu europäisieren und durch die G5-Saheltruppe (Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso, Tschad, jW) zu afrikanisieren.
Angesichts dieser Situation sollte ganz Afrika wie ein Mann dafür kämpfen, »die Waffen zum Schweigen zu bringen«, anstatt im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus Waffen zu fordern, ganz gleich, woher sie kommen. Es muss ethischere Wege der Zusammenarbeit zwischen Nationen geben als diese Koalition gegen Mali. Es ist nur an der Zeit, die Waffen zum Schweigen zu bringen, indem die ausländischen Truppen vollständig und so schnell wie möglich abgezogen werden. Unsere Staaten müssen nicht beweisen, dass sie stark und männlich sind, wenn sie den Terrorismus mit Waffengewalt bekämpfen. Es geht darum, konkret abgestimmte und nachhaltige Antworten auf die Übel zu finden, die den Terrorismus hervorgebracht haben und ihn aufrechterhalten. Diese sind wirtschaftlicher, politischer und geopolitischer Natur.
Abschließend möchte ich betonen: Afrika kann nicht mehr länger ein unermesslich reicher und ausgeplünderter Kontinent mit einer unermesslich armen und beraubten Bevölkerung sein; Afrika kann nicht mehr länger der Kontinent sein, der die Umwelt am wenigsten verschmutzt, während er gleichzeitig den höchsten Preis für die globale Erwärmung zahlt.
Lassen Sie uns auf einen echten Paradigmenwechsel hinarbeiten, denn sozialer Frieden, menschliche Sicherheit und politische Stabilität, die gut für Deutschland und Europa sind, sind auch gut für uns in Mali, im Sahel und in Afrika.
Quelle: www.ethecon.org
Ernst Jünger wurde mal gefragt, was für ihn das Schlimmste am Ersten Weltkrieg gewesen sei, und antwortete prompt: "Dass wir ihn verloren haben natürlich!" Weil er aber klug genug war, um zu wissen, wie überraschend diese Antwort auf sein Gegenüber wirken musste, fügte er hinzu, dass er als Soldat halt nicht anders denken könne.
AntwortenLöschenFür mich ist dieser Mann alles andere als ein Vorbild. Aber ich hätte mir eigentlich schon gewünscht, dass mal irgendwer darüber nachdenkt und es schlimm findet, dass wir in Afghanistan schon wieder einen Krieg verloren haben - wenngleich natürlich noch entsetzlicher ist, dass wir ihn begonnen haben.
Aber all das hat die verkommene deutsche Volks- und Politikerseele kein bisschen tangiert. Wichtig war nur, dass sich 2015 nun auf keinen Fall wiederholen dürfe - was damals eigentlich Schreckliches geschehen sein soll, wurde in ARD und ZDF meist erst gar nicht dazugesagt (was auch schlecht gegangen wäre, weil nämlich gar nichts geschehen ist).
Aber damit nicht genug: statt nun ernsthaft zu überlegen, welchen Sinn solche Kriege haben - und ob man sich in Mali noch weiter dreckig machen oder nicht lieber das Feld räumen will, hat unser Herr SPD Kanzlerkandidat der Linkspartei als Voraussetzung für eine Koalitionsbeteiligung ein klares Bekenntnis zur NATO abverlangt.
Und fast niemandem in Deutschland scheint aufgefallen zu sein, dass er für diese Forderung eigentlich den unpassendsten Moment in der Geschichte der Bundesrepublik erwischt hatte - denn nichts wäre jetzt naheliegender als eine ernsthafte Debatte über einen Nato-Austritt. Stattdessen geht alles weiter wie bisher - und was die Bundeswehr in Mali treibt, können offenbar nicht einmal Militärexperten genau sagen.
Wenn ich daran denke, dass unser Land seit Jahren dort Krieg führt und ihn weiter führt - und wir nicht einmal wissen, weshalb und wofür, könnte ich kotzen.