Montag, 7. Januar 2013

Warum Weihnachten nichts für Weicheier ist

Ein nachweihnachtlicher Besinnungsversuch

Dass unsere ver.di-Blog-Redaktion bei all dem Hugendubeltrubel, der momentan so ansteht, es nicht versäumt hat, uns schöne und erholsame Weihnachten zu wünschen, finde ich echt gut.
Ihr, liebe Kolleginnen und Kollegen, vermutlich gleich nicht mehr!

Mir ist dabei nämlich durch den Kopf gegangen, dass es sich bei "schön und erholsam" offenbar um ein wohldurchdachtes und ernst gemeintes Pendant zum sonst so dahingesagten "froh und besinnlich" handelt.
Das hat mich zur Frage geführt, was es mit diesem "froh und besinnlich" im weihnachtlichen Kontext auf sich haben mag. Da hilft nur die Probe aufs Exempel: ich freue mich und besinne mich also.
- Und jetzt, nachdem das Weihnachtsgeschäft und die Feiertage vorüber sind, ist ja Zeit dazu.

Worüber ich mich `freuen´ soll, das ist mir auch so halbwegs klar. Wenn wir von ein paar antiquierten und unpopulären christologischen und mariologischen Vorstellungen, die ich hartnäckig mit mit herumschleppe, einmal absehen - vor allem natürlich darüber, dass wir den ganzen Rummel wieder hinter uns haben!

Aus der Werbung vom MediaMarkt weiss ich ja: "Weihnachten wird unterm Baum entschieden".
Und mir scheint: hier sei der Sinn dieses Festes und der Geist unserer Zeit mit seinem zynisch-aggressiven Konsumismus in einem Wort knallhart auf den Punkt gebracht. (Wenn der Herr Sloterdijk sich so griffig und geistvoll zu äußern pflegte, hielte ich ihn glatt für einen Philosophen!).

Mit dem Besinnen ist das aber so eine verzwickte Sache. Einfach mal in sich zu gehen, sozusagen ins Blaue, nützt nicht viel - dort findet man nach dem Weihnachtsstreß vermutlich nur verbrannte Erde. Und was für den religiös interessierten Europäer nächstliegend wäre, mal kurz in Indien beim Guru oder in Fernost beim Zen-Meister, vorbeizuschauen, ist finanziell nicht drin. Seien wir also tapfer und versuchen wir es mit der Weihnachtsgeschichte!

Sie führt uns in die Zeit, als auf dem gesamten "Erdkreis" Friede herrschte, weil Rom herrschte.
Und dort hatte einer das sage: Caesar Augustus. Seine Rivalen waren vernichtet, seine Kriege beendet, seine Macht gesichert. Mit dem Recht des Siegers ließ er sich jetzt als Friedensbringer feiern und "Retter" und "Herr" nennen.

An der Peripherie dieses augusteischen Friedensreiches - zu Bethlehem in Judäa - wird nun ein Kind geboren. Dass es in einer Krippe liegt (von einem Stall ist nirgendwo die Rede), hat nicht viel zu bedeuten:
die meisten Menschen haben wahrscheinlich auch bei uns noch bis vor weinigen Jahrhunderten mit dem Vieh im selben Haus oder sogar im selben Raum geschlafen.

Was allerdings religiös und politisch gesehen tatsächlich der Hammer ist: ein Engel erscheint und verkündet den Hirten, die in der Nähe bei ihren herden lagern: "Heute ist Euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr." Und damit gleich klar wird, dass es sich um keinen Alleingang eines durchgeknallten Hilfsengels handelt, flattert noch ein ganzes "himmlisches Heer" herbei und frohlockt:
"Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Friede den Menschen seiner Gnade".

Ein Messias in der Tradition der davidischen Könige also, wie Israel ihn sehnsüchtig erwartet hatte, ist erschienen - und er wird der wahre Retter und Herr sein. Der Friede, den er bringen wird, ist nicht mehr der des militärischen Siegers oder der imperialen Weltmacht, die gewaltsam jeden Widerstand gebrochen hat - sondern ein ganz anderer und viel größerer: ein Friede, mit dem sogar die armen Hirten auf dem Felde etwas anfangen könnten.

Schon der Prophet Jesaia hatte ja vorhergesagt, dieser Friede werde das Werk der Gerechtigkeit sein:
pax opus iustitiae erit - und damit wiederum war etwas ganz anderes und viel größeres gemeint als eine weltweite Gültigkeit des römischen Rechtssystems. Eine Gerechtigkeit, die im Menschen den Menschen sieht!

Das wäre in groben Zügen die Botschaft, die bis heute manches Leid und manchen Kampf in ein klareres Licht rückt - und wir brauchen uns nur ein wenig umzusehen, um festzustellen, dass sie ihren Stachel noch längst nicht verloren hat. Die Zeiten haben sich zwar geändert: die ´Imperien´ und ´Cäsaren´ unserer Tage sehen anders aus - die ´Hirten´ übrigens auch! Aber die Sehnsucht nach wahrem Frieden und Gerechtigkeit ist geblieben.

Deshalb kommt es und kam es schon immer darauf an, dass Weihnachten nicht nur religiös gefeiert, sondern politisch auch gelebt wird - und hier genau liegt der Grund, warum Weihnachten nichts für Weicheier ist.

Die Katholische Kirche führt uns dies bereits am zweiten Weihnachtsfeiertag recht drastisch vor Augen:
sie gedenkt am 26.Dezember ihres Erzmärtyrers Stephanus, der von einer aufgehetzten Menschenmenge gesteinigt wurde, am 27. Dezember dann des Evangelisten Johannes, der eine grausame Folter in siedendem Öl zu bestehen hatte, und am 29. Dezember des Heiligen Thomas Becket, des Erzbischofs von Canterbury, dem man 1170 in seiner Kathedrale die Mitra samt der Schädeldecke vom Kopf schlug.

Ein starker Tobak und eine bittere Pille für uns alle, die wir eigentlich lieber nur mal kurz ins Kripplein schauen und dann eine Zeit lang - gerührt, nicht geschüttelt - mit der vom Kindchenschema gezeichneten Gutmenschenvisage herum laufen möchten: Weihnachten kann gefährlich sein!
Aber da müssen wir durch - es wird ja nicht jeden gleich den Skalp kosten.

In diesem Sinne, liebe Kolleginnen und Kollegen:  Kopf hoch und auf in den Kampf!


Jürgen Horn

2 Kommentare:

  1. ... wie immer Jürgen, großartig... mehr kann ich dazu nicht sagen....

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  2. Ein nachdenklich stimmender Artikel.
    Ich freue mich immer, vom Kollegen Horn etwas im Blog lesen zu können.

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