Montag, 10. August 2020

Die Corona-Krise muss Konsequenzen haben

Gegen die Ökonomisierung des Gesundheitswesens


Protest vor dem Bundesgesundheitsministerium am Tag der Pflege

Angesichts der Corona-Pandemie werden die Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen offensichtlich. Aus ihnen müssen Konsequenzen gezogen werden. Die Coronakrise muss der Anfang einer grundsätzlichen Diskussion um dieAusrichtung des Gesundheitswesens in Deutschland sein. 

Die Lage:
 1.

Seit 2004 werden die Krankenhäuser in Deutschland über Preise für die Behandlung jedes einzelnen Patienten (Fallpauschalen/DRGs) bezahlt. Die Krankenhäuser wurden auf „Effizienz“ getrimmt. Effizienz beschreibt eigentlich das Verhältnis zwischen dem erreichten Erfolg und dem dafür erforderlichen Aufwand. In diesem Sinne sind die DRGs das Gegenteil von effizient.  

Trotzdem wird die Effizienz von den Verteidigern der DRGs wie eine Monstranz vor sich hergetragen. Für „Effizienz“ wurden Krankenhäuser finanziell belohnt und manche konnten nur so wirtschaftlich überleben. „Effizienz“ in einem Preissystem bedeutet aber, dass möglichst viele Patienten, die sich lohnen, mit möglichst wenig Personal und in möglichst kurzer Zeit behandelt werden. Ein solches Vergütungssystem ist inhuman gegenüber den Patienten.

 Sie werden unter Erlösaspekten ausgesucht („gute/schlechte Risiken“), aufgenommen und behandelt (immer mehr unnötige Eingriffe) und dann noch möglichst früh (ohne Berücksichtigung ihrer sozialen Lage) entlassen.Hier offenbart sich die Problematik der Krankenhausfinanzierung und deren Folgen.  

2.

Je mehr Gewinne gemacht werden müssen und je heftiger die Krankenhäuser unterfinanziert sind, desto unmittelbarer wirkten die Anreize für mehr „Effizienz“in Krankenhäusern aller Trägerschaften.

 Ein solches Finanzierungssystem wurde dadurch auch inhuman gegenüber den Beschäftigten, weil die Arbeit pro Beschäftigten, also die Arbeitshetze systematisch gesteigert wurde. Insbesondere die Pflege und die Servicebereiche waren und sind hiervon betroffen. Viele sind ausgebrannt und/oder verlassen den Beruf. Die immer noch zu niedrige Bezahlung tut ein Übriges. 

Vorgaben, wie viele Pflegekräfte zur Versorgung der Patienten vorgehalten werden müssen, wurden abgeschafft, weil sie nicht zum Preissystem der DRGs passten. Betten und Beatmungsgeräte lassen sich vielleicht schnell nachproduzieren, aber was ist mit den fehlenden Pflegekräften? 

Jetzt bezeichnet man sie als „systemrelevant“ und sucht händeringend nach ihnen.

3. 

Vorhaltung von Infrastruktur, z.B. für Notfälle und Epidemien, wird (bis auf minimale Ausnahmen) durch die DRGs nicht finanziert und stört die „Effizienz“. Dementsprechend findet in den Krankenhäusern keine oder nur eine möglichst geringe Vorhaltung statt. Jetzt wird deutlich, dass dies zu gefährlichen Engpässen geführt hat (Schutzmasken/-kleidung, Isolationsbetten, Überwachungs-und Beatmungsgeräte).




 4. 

Erklärtes Ziel der Einführung der DRGs war es, die Krankenhäuser möglichst marktkonformumzugestalten und den Wettbewerb der Krankenhäuser untereinander anzufachen. Markt und Wettbewerb statt Kooperation und Daseinsvorsorge. Jetzt erkennt man, dass es eigentlich darum geht, dass die Krankenhäuser gemeinsam handeln, sich absprechen und unterstützen.  

5. 

Erklärtes Ziel war es auch durch das DRG-Systemmöglichst viele Krankenhäuser zu schließen und massiv Betten abzubauen. Argument war, dass es im internationalen Vergleich viel zu viele Betten und Krankenhäuser gebe. Es wurden zwar schon hunderte Krankenhäuser geschlossen und über 100.000 Betten abgebaut, den neoliberalen Thinktanks (Sachverständigenrat, Leopoldina, Bertelsmann, um nur einige zu nennen) war dies aber noch nicht genug. Jetzt ist Gesundheitsminister Spahn stolz auf die große Zahl von Betten in Deutschland („gut gerüstet“) und der angeblich schlimmste Nachteil wird nun zu Deutschlands größtem Vorteil.

6. 

Eine weitere Folge der Finanzierung über Preise ist der ungeheure bürokratische Aufwand, der betrieben werdenmuss, um Preise zu berechnen, Leistungen unter Kostengesichtspunkten zu dokumentieren, sie möglichst profitabel abzurechnen, von Seiten der Krankenkassen zu kontrollieren. Dies hat zu einem wahren Abrechnungskrieg zwischen Kassen und Krankenhäusern geführt, in dem immer weiter personell aufgerüstet wird.Jetzt wird deutlich, dass man sich eine solche Ressourcenverschwendung eigentlich überhaupt nicht leisten kann, wenn es um die gute Versorgung der Bevölkerung geht.

7. 

Private Krankenhausgesellschaften betreiben inzwischen mehr Krankenhäuser als die öffentliche Hand. Ihr Geschäftsmodell ist Gewinnerzielung und sie müssen ggf. ja auch noch ihre Aktionäre bedienen, so dass Versichertenbeiträge direkt in deren Taschen wandern. Gewinnanreize sind jedoch ungeeignetum Krankenhäuser als Teil der Daseinsvorsorge zu steuern. Während der Corona-Pandemie wurde deutlich, dass Krankenhäuser unabhängig von der Trägerschaft zur effektiven Bewältigung der gesellschaftlichen Anforderungen zumindest unter Aufsicht des Staates gestellt werden müssten, so wie es in Spanien, Frankreich und Finnlandunter den Notstandsgesetzender Fall war. Sonst gibt es keine Steuerungsmöglichkeit im öffentlichen Interesse, damit diese Krankenhäuser ihre Pflicht gegenüber der Gesellschaft in erfüllen.





Unsere Forderungen:
 1. 

Gesundheitsversorgung ist Daseinsvorsorge. Markt und Wettbewerb, Preise (DRGs) und Gewinne sind Ausdruck der Umwandlung der Gesundheitsversorgung in ein Geschäftsmodell mit ökonomischemSchwerpunkt und gefährdendie Daseinsvorsorge. Das DRG-System muss ersetzt werden durch ein einfaches und bürokratiearmes Verfahren, durch das die ohne Verschwendung tatsächlich entstandenen Kosten (inkl. Vorhaltekosten) finanziert werden (Selbstkostendeckung). 

Die Bundesländer müssen ihrer Verantwortung für die Finanzierung notwendiger Investitionskosten wiedervollständig gerecht werden, damit keine Gelder, die zur Patient*innenversorgung vorgesehen sindhierfürverwendetwerdenmüssen. Die wirtschaftliche Verwendung der Gelder muss überprüfbar sein.  

2. 

Ein weiterer Bettenabbau nur auf Grund wirtschaftlicher Zwänge darf nicht stattfinden. Die notwendige Zahl und Größe von Krankenhäusernund deren Kooperation (Aufgabenverteilung), die Zahl der Fachabteilungen und Intensiv-/Betten müssen durch eine Bedarfsplanung der Länder unter demokratischer Beteiligung der Bürger*innenund Beschäftigten im Gesundheitswesen und deren Gewerkschaften ermittelt und umgesetzt werden. Sie muss an Versorgungsregionen und Erreichbarkeit (Flächendeckung), sowie demografischen und Morbiditätsfaktoren ausgerichtet sein. Dabei haben wegen der Steuerungsfähigkeit im öffentlichen Interesse öffentliche Einrichtungen Vorrang. 

3. 

Für alle Berufsgruppen im Krankenhaus müssen verbindliche (gesetzlich festgelegte) bedarfsgerechte Personalbedarfszahlen wissenschaftlich ermittelt, umgesetzt und finanziert werden.

4. 

Die Arbeitsbedingungen und die Vergütung der Beschäftigten in den Krankenhäusern müssendeutlich verbessert werden. Bei der Durchsetzung ihrer kollektiven Interessen unterstützen wir die Beschäftigten. 



Quelle: http://www.krankenhaus-statt-fabrik.de/

10 Kommentare:

  1. "Gesundheitsfürsorge ist Daseinsfürsorge" - vor soviel Weisheit kapituliert sogar die Korrekturfunktion, weil sie das Wort "Daseinsvorsorge" nicht kannte. Wie auch? Um auf sowas zu kommen, da muss man echt was drauf haben. Das schafft nicht jeder. Wahrscheinlich gibt es hierfür auch so einen eigenen Thinktank.
    Ihr seid echte Supertanker: ihr habt mir die Augen geöffnet! Ich weiß jetzt, dass ich nur dann da bin, wenn ich an keiner Krankheit sterbe. Deshalb muss ich schauen, dass ich gesund bleibe, weil ich sonst krank werde - und wenn einem dann niemand hilft, stirbt man und ist irgendwie nicht mehr da. So habe ich das bisher noch gar nicht gesehen. Nochmals vollen Tank - äh, ich meine natürlich: vielen Dank!

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    1. Du hast da was missverstanden: Dasein bedeutet ja nicht, dass man einfach nur da ist oder lebt, und ist auch nicht im Sinn des Heideggerschen In-der-Welt-Seins gemeint. Sondern es bedeutet, dass man produziert und konsumiert kann, wodurch man ein nützliches Mitglied der Gesellschaft und eine Stütze des Kapitalismus bleibt. Worüber sonst sollten sich Gewerkschaften und Arbeitende heute noch Sorgen machen?
      Wir leben schließlich im postideologischen Zeiten, in denen Klassenkampfparolen nichts mehr helfen. Und deshalb sprechen wir auch alle die Sprache der Kapitalisten.

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  2. Aha! Es muss mal wieder was passieren, weil es so ja nicht weitergehen kann? Und Corona hat das gezeigt? - Ich hasse diese verschleimte Soziallaberei! Die Corona-Krise hat gar nichts gezeigt, was nicht schon jede*r gewusst hätte. Und deshalb wird jetzt auch genau das geschehen, was schon vorher geschehen ist: nichts außer Scheiße!

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    1. Kann ja sein, dass du Recht hast. Aber wenn keine*r mehr sagt, dass sich was ändern soll, ändert sich doch erst recht nichts. Was also schlägst du vor.

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  3. Was ich vorschlage? Das erste wäre, dass die Soziallaberer, statt nur zu soziallabern, klare Allianzen bilden - und dass diese dann klar sagen, von wem und für wen genau sie was erwarten. Das zweite wäre, dass man Politiker*innen, die irgendetwas einfach so ins Blaue fordern, ohne zu sagen, von wem, und ohne sich in der eigenen Regierung oder Partei dafür einzusetzen, entweder gnadenlos teert und federt oder zumindest abwählt. Am besten beides!

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    1. Lesen ist hilfreich. Der Artikel ist ziemlich konkret. Und anstatt einen übellaunigen Kommentar hier abzusondern, kannst Du den letzten Satz dieses Artikels beherzigen: "Bei der Durchsetzung ihrer kollektiven Interessen unterstützen wir die Beschäftigten."

      "Wahrheit ist immer konkret", sagte ein großer Denker und politischer Kopf einmal. Also erkundige Dich bei deinem Gewerkschaftssekretär oder meinetwegen bei der Infoblog-Redaktion, wann in der kommenden Tarifrunde Soli-Aktionen für die Beschäftigten in den Krankenhäusern und im Nahverkehr stattfinden. Wir treffen uns dann in der Früh bei Schichtbeginn vor dem Werkstor, verteilen Flyer und unterstützen die streikenden Kolleg*innen. Aber vermutlich liegst Du da noch auf dem Diwan herum oder verfasst Kommentare.

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  4. Also in einem Punkt gebe ich dir Recht: lesen ist manchmal sehr hilfreich. Verstehen und Kommentieren übrigens noch mehr. Wenn du es auch getan hättest, wäre dir nicht entgangen, dass in obigem Beitrag eine ganze Reihe von Forderungen erhoben werden, die in Deutschland (und sehr wahrscheinlich auch in keinem anderen Land der Erde) von Gewerkschaften tarifvertraglich geregelt werden können, sondern einen wesentlich breiteren politischen und sozialen Konsens erfordern würden. Und leider muss ich dir sagen, dass deine Argumentation, in der daher letztlich ein falsches, weil überzogenes, Versprechen steckt, für mich genau die Haltung verrät die ich kritisiert habe.
    Wenn ich das sage, will ich dich weder beleidigen noch den Gewerkschaftsfeind geben. Ich habe mich schon öfter von meinem Divan erhoben, um mich für die Ziele unserer Gewerkschaft einzusetzen, und werde es jederzeit wieder machen. Aber so zu tun, als könnten wir auf diesem Weg die sozialen und politischen Probleme lösen, von denen oben die Rede war, erinnert mich ein bisschen an die Werbesendungen, in denen erst mit getragenem Pathos die Vision einer besseren Welt der Zukunft beschworen wird, nur damit du dir am Schluss eine neue Karre kaufst.

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    1. " Aber so zu tun, als könnten wir auf diesem Weg die sozialen und politischen Probleme lösen". Es geht hier um grundlegende Verbesserungen der Lohn- und Arbeitsbedingungen, also um Tarifverträge der Beschäftigten im Gesundheitssektor. Dafür gibt es das Instrument des Arbeitskampfes. Dafür lohnt es sich zu kämpfen. Eine Änderung der Gesundheitspoltik erfordert zweifellos einen längeren Atem. So what? Das sind zwei verschiedene Ebenen, wenn auch verzahnt. Bevor Du also ständig "alles scheiße!" schreist, mach das, was zu tun ist. Und hör auf, Dich ständig auf den Ironie-Modus zu berufen.

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    2. Freund, ich bin keineswegs im Ironie-Modus. Nicht jeder, der dir widerspricht, muss deshalb schon ein Spaßvogel sein. Aber mir scheint, du bist gerade im argumentativen Agonie-Modus. Denn ich habe nie bestritten, dass es richtig und Aufgabe unserer Gewerkschaft ist, für eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in unseren Krankenhäusern zu kämpfen.
      Das ist aber nur eine von vier Forderungen, die in obigem Beitrag gestellt werden. Die drei anderen betreffen erstens die Abrechnungsverfahren für medizinische Leistungen, zweitens Investitionen ins Gesundheitswesen und drittens den Ausbau der medizinischen Infrastruktur unter öffentlicher Kontrolle - und damit, wie du selbst sagst, eine andere Ebene.
      Deshalb habe ich kritisiert, dass nicht gesagt wird: wer genau an wen genau diese Forderungen richtet - und dafür einsteht. Darauf habe ich bisher keine Antwort gekommen; und dein "So what?" verrät mir, dass ich auch keine mehr bekommen werde.
      Stattdessen wird mir Untätigkeit und Übellaunigkeit vorgeworfen. Aber du kannst mir glauben, dass ich keineswegs "alles scheiße" finde, sondern nur sowas.

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    3. Der Fight hier sieht mir nicht danach aus, als ob ihn noch einer gewinnen könnte. Abu Ali Ibn Sina will anderen verbieten, etwas zu wollen, wenn sie keinen Plan haben, wie sie es bekommen. Dafür hat er keinen Grund. Aber auf der anderen Seite hat Flying auch keinen Plan. Also würde ich sagen: Recht hat keiner von euch.

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