Franzobels Rede zur Literatur
(Bachmannpreis 2017 in Klagenfurt)
Seelenfutter Oder Das süße Glück der Hirngerichteten
Ko taku reo taku ohooho, ko taku reo taku mapihi mauria.
Zu
Beginn wird’s grünlich. Grünlich, meine verehrten Damen und Herren,
mein Freund Grünlich nämlich, ist überzeugt, dass es in spätestens
fünfzig Jahren keine Bücher mehr geben wird, nur noch E-Books mit
virtuellen Protagonisten, Avatars, die einem gleich die ganze Handlung
vorspielen. Mit entsprechender Musik und, wenn man das will,
Kommentaren, Querverweisen, Interpretationen. Man wird, so Grünlich
weiter, zwischen verschiedenen, jedenfalls mehr als zwei, Geschlechtern
und diversen Enden wählen, ja vermutlich sogar die Geschichte selbst
nach eigenem Gutdünken entwickeln können. Mit einem Mausklick wird jeder
zu einem Schöpfer. Alles verändert sich. Die Literatur so sehr, dass
einem die Augen rausspringen.
In spätestens fünfzig Jahren wird man
Buchhandlungen, Bücherregale, ja selbst Bücher so verwundert ansehen wie
heutzutage Jugendliche ein Tonbandgerät, ein Pornokino oder eine
Steintafel mit sumerischer Keilschrift. Buchhändler und Bibliothekare
werden keine Dealer eines Geheimwissens mehr sein, sondern pelzige
Mammuts, die sich in ihren Terrarien irgendwie seit dem Pliozän der
Aufklärung am Leben gehalten haben. Und Schriftsteller? Ausgestorbene
Steinzeitler aus dem Paläolithikum der Schreibmaschine oder dem
Neolithikum des Laptops? Längst ersetzt durch den Homo
autorencollectivus?