Donnerstag, 28. August 2014

"Serbien muß sterbien!"

Schwerpunkt Erster Weltkrieg: Literatur

 „Deutschland hat Rußland den Krieg erklärt. – Nachmittag Schwimmschule."
Nicht jeder kommentierte den Beginn des Ersten Weltkrieges so distanziert und lakonisch wie Franz Kafka in seinem Tagebuch-Eintrag vom 2. August 1914. Viele deutsche Schriftsteller oder Künstler wie z.B. Thomas Mann begrüßten und bejubelten den Kriegsausbruch: "Muß man nicht dankbar sein für das vollkommen Unerwartete, so große Dinge erleben zu dürfen?“

Noch in seinen 1918 erschienenen "Betrachtungen eines Unpolitischen" verteidigte Mann  den Imperialismus der deutschen Kaiserreiches. Ganz anders sein Bruder Heinrich Mann, der politisch viel klarsichtiger gewesen ist und im selben Jahr sein Schlüsselwerk "Der Untertan"  veröffentlichte.

Wir wollen im folgenden Beitrag aus der Fülle der aktuell erschienenen Publikationen vier ausgewählte Titel vorstellen. Einen guten Überblick auf die zeitgenössischen literarischen Reaktionen auf den Krieg vermittelt die bei Suhrkamp erschienene Anthologie "Europas Dichter und der erste Weltkrieg":




Einer der Autoren, die im Zusammenhang mit der Kritik am organisierten Militarismus und dessen Massenabschlachtungen an erster Stelle genannt werden müssen, ist Kurt Tucholsky. Lesenswert ist z. B. sein Essay "Vor Verdun" von 1924 (Gesammelte Werke, Bd.3) oder sein Text "Der bewachte Kriegsschauplatz" (1931) mit seinem mittlerweile klassisch gewordenen Ausspruch:

"Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratkilometer Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war.
Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder."





Eine gute Auswahl seiner politischen Texte bietet das Taschenbuch "Politische Texte".
Ebenso sehr lesenswert ist die Biographie von Michael Hepp.

Robert Musil gehörte wie Thomas Mann zu den Befürwortern des Krieges. Hier soll es jedoch nicht um sein Hauptwerk Der Mann ohne Eigenschaften gehen, das in gewisser Weise auch ein Weltkriegsroman ist.
Musil trat in den Krieg als Reserveoffizier ein und beendete ihn im Rang eines Landsturmhauptmanns mit mehreren Auszeichnungen. Er war in Südtirol und zuletzt an der italienisch-serbischen Front stationiert. Am 22. September 1915 wurde er nahe Trient knapp von einem Fliegerpfeil verfehlt, den ein italienisches Flugzeug abgeworfen hatte. Fliegerpfeile waren Metallstifte, die vom Flugzeug aus abgeworfen wurden und fast geräuschlos Menschen durchbohren konnten. Er beschrieb diese existentielle Erfahrung in der Hauptszene seiner berühmten Erzählung Die Amsel:

"In diesem Augenblick hörte ich ein leises Klingen, das sich meinem hingerissen emporstarrenden Gesicht näherte. Natürlich kann es auch umgekehrt zugegangen sein, so daß ich zuerst das Klingen hörte und dann erst das Nahen einer Gefahr begriff; aber im gleichen Augenblick wußte ich auch schon: es ist ein Fliegerpfeil! Das waren spitze Eisenstäbe, nicht dicker als ein Zimmermannsblei, welche damals die Flugzeuge aus der Höhe abwarfen; und trafen sie den Schädel, so kamen sie wohl erst bei den Fußsohlen wieder heraus, aber sie trafen eben nicht oft, und man hat sie bald wieder aufgegeben. Darum war das mein erster Fliegerpfeil; aber Bomben und Maschinengewehrschüsse hört man ganz anders, und ich wußte sofort, womit ich es zu tun hätte. Ich war gespannt, und im nächsten Augenblick hatte ich auch schon das sonderbare, nicht im Wahrscheinlichen begründete Empfinden: er trifft!"



Die Amsel\Bilder - Musil, Robert


"Serbien muß sterbien!"
Das ist eines der tausenden und aubertausenden Originalzitate - genau bis in den Druckfehler hinein -  die Karl Kraus in seinem Monumentalwerk Die letzten Tage der Menscheit zu einer einzigartigen literarischen Apokalypse verarbeitete. Die "Tragödie in 5 Akten mit Vorspiel und Epilog“ ist in den Jahren 1915–1922 als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg entstanden. In über 200 nur lose zusammenhängenden Szenen, die auf wahren Quellen beruhen, wird die Unmenschlichkeit und Absurdität des Krieges dargestellt. Das Stück ist einem „Marstheater“ zugedacht und ist bisher noch nie komplett aufgeführt worden. Von dem 800-Seiten-Werk gibt es eine gekürzte Bühnenfassung, die immer noch 180 Seiten umfaßt.



Die letzten Tage der Menschheit - Kraus, Karl


 Kraus selber war pessimistisch, was einen möglichen Katharsis-Effekt seines Werkes anging::
„Nein, der Seele bleibt keine Narbe zurück. Der Menschheit wird die Kugel bei einem Ohr hinein und beim anderen herausgegangen sein.“ 



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