Montag, 3. Dezember 2012

Un mare di merda


Betriebsversammlung 30. November 2012 in München

Auszüge aus der Rede des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden Jürgen Horn

Ich fühle mich ganz stark an die Schlagzeile einer italienischen Zeitung erinnert, die ich vor vielen Jahren mal gelesen habe: "un mare di merda".
Was das auf deutsch heißt - das brauche ich wohl nicht zu erklären.

Noch stehe ich zwar erst bis zu den Knien drin - und habe das Gefühl, das Ufer kann noch gar nicht so weit weg sein. Aber zum Himmel stinkt die Sache jetzt schon - und am Horizont kommt langsam aber sicher ein Zunami in Sicht.

Die wirtschaftliche Situation unserer Firma ist, soweit wir das beurteilen können, alarmieren. Und es werden auch Maßnahmen getroffen - und vom BR und GBR, wenn nicht vorbehaltlos, so doch bereitwillig unterstützt, um das drohende Unheil möglichst abzuwenden.
Aber zum Teil sind leider auch solche dabei, die ganz offensichtlich kaum mehr etwas mit den Problemen zu tun haben, die es zu lösen gilt - außer, dass man uns das Leben, das nun ohnehin schon ein Leben unter dem Damoklesschwert drohenden Arbeitsplatzverlustes ist, auch noch schwer und immer schwerer macht.
Herr Nitz hält es mit Winston Churchhill - er verspricht uns: nichts außer Blut, Schweiß und Tränen. Nur anders als dort ist hier leider kein Sieg in Sicht!
Unsere Interessen, die dürfen wir vergessen. Aber auf welchen Wege, das zum Erfolg führen soll, darüber wird diskret hinwegegangen und vornehm geschwiegen.


Als wir vor zwei Jahren gefragt haben, wie es mit einer besseren Regelung zur sozialen Absicherung bei betriebsbedingten Kündigungen aussieht, war die Antwort:

Brauchen wir nicht!

Als wir bei der letzten Betriebsversammlung gefragt haben, wie es mit der Firma und uns weiter gehen soll, war die Antwort:

Wissen wir nicht!

Und als wir gefragt haben, wie unser Arbeitgeber es künftig mit der Tarifbindung halten wird, war die Antwort:

Sagen wir nicht!   - aber: die Gedanken sind frei!

(...) vom BR wird ein Signal erwartet - und gemeint ist: ein Signal des guten Willens (ich könnte auch sagen: seines Opferwillens!):
Ein Signal bei der Arbeitszeit, ein Signal bei der Ladenöffnung an Silvester, ein Signal bei allem möglichen - aber keine Antworten!
Aber zwei Dinge übersehen die Damen und Herren userer Geschäftsführung dabei: DAS Signal, das sie brauchen haben sie bekommen. Die hier sitzen geben ihnen dieses Signal jeden Tag: durch ihre Arbeit in unseren Filialen, durch ihre Arbeit in der Verwaltung, durch ihre Arbeit im HSC.

Und außerdem: was soll das mit dem Signal überhaupt?
Hier geht es doch nicht um ein Credo zur Firma oder um die Akzeptanz unternehmerischer Verzichtsrhetorik - die Frage, um die es hier geht, ist doch nicht, ob wir ihnen ein Zeichen geben, sondern die Frage ist, ob Sie einen Plan haben - und zwar einen, der was taugt.


Arbeitszeit

Wenn ich da allerdings an die Absichten und Vorschläge unseres AG beim Thema Arbeitszeit denke, kommen mir - um es vorsichtig auszudrücken - Zweifel, ob sie wirklich geeignet sind, etwas besser zu machen.

Worum es geht, das wissen inzwischen alle - deshalb sage ich es auch nochmal: unser AG will eine weitgehende Flexibilisierung der Arbeitszeit (...)
In Berlin gibt es hierzu bereits eine Betriebsvereinbarung (...)
Wir in München wollen es ein bißchen anders: wir wollen Turnunsmodelle mit den langen Wochenenden grundsätzlich beibehalten - und sie nur abändern, dass sie dem jeweiligen Bedarf übers Jahr möglicht gerecht werden.
Da AG und BR sich in dieser Sache nicht einigen konnten - und auch unser Kompromissvorschlag von der anderen Seite abgelehnt wurde, gehen wir jetzt in die Einigungsstelle (...)

Seit ungefähr einem Jahr nun sind Gf und BR im Gespräch über die Neuregelgung der Arbeitszeit - und es hieß, wir verhandeln ergebnisoffen.
In Berlin lag bereits der Entwurf einer Betriebsvereinbarung vor - aber das braucht uns nicht zu tangieren, hieß es (...)
Nachdem wir uns lange und intensiv über das Thema ausgetauscht hatten und diesen Austausch auch gut fanden - was lag da plötzlich auf dem Tisch?
Die Berliner Betriebsvereinbarung!

Daraufhin hatte der BR einen Gegenvorschlag gemacht (...)
Dieser Gegenvorschlag wurde dann auch sichtlich mit Interesse entgegengenommen - und, wie es hieß, intern geprüft - und ist jetzt auch geprüft. Und was lag nun wieder auf dem Tisch?
Die Berliner Betriebsvereinbarung!

Aber nicht etwa in irgendeiner veränderten Variante, in die irgendetwas von unseren Anliegen und Vorschlägen eingegangen wäre, sondern einfach nur ganz schlicht und ergreifend - und in ihrer arachaischen Urwüchsigkeit nicht mehr zu überbieten, wie sie da so auf dem Tisch liegt:
Die Berliner Betriebsvereinbarung!

Und wenn wir nächstes Jahr in die Einigungsstelle gehen werden, um zu einer eindeutigen Entscheidung zu kommen: was wird da selbstverständlich auf dem Tisch liegen?
Die Berliner Betriebsvereinbarung! (...)


OH-Konzept

(...) ich kann erzählen, um was es geht: unser AG will den Zeitaufwand festlegen und vorschreiben, den eine bestimmte Arbeit zu dauern hat.
Seit einigen Wochen liegt dem Betriebsrat dieses Konzept vor. Sein wesentlicher Bestandteil ist ein Tätigkeitskatalog, der eine genaue Auflistung der anfallenden Aufgaben inklusive der dafür aufzuwendenden Zeit enthält.
Das Ganze wird dann sozusagen runtergeplant: Jahresplan, Monatsplan, Wochenplan, Tagesplan. Und am Ende steht - du glaubst es nicht: die Pauseneinteilung für die KollegInnen in den einzelnen Abteilungen, die vom ALSortiment für eine Woche im voraus festgelegt wird - und das wohlgemerkt für Leute, die in einem Ladenbetrieb mit Kundenverkehr arbeiten. (...)
Auch hier frage ich micht wieder: was hält unsere Firma eigenlich von uns?
Meint unsere GL denn, dass wir in dieser Firma all die Jahre seit ihrem Bestehen gearbeitet haben, ohne zu merken und zu wissen, worauf es bei dieser Arbeit ankommt?


Tarifvertrag

Und damit sind wir zugleich bei der Frage angelangt, die das eigentliche große Thema unserer heutigen Versammlung ist: wie wird diese Firma künftig mit den Menschen umgehen, die für sie arbeiten?
Dass Arbeitnehmer von Arbeitgebern in erster Linie als ein Kostenfaktor - als ein Eintrag auf der Sollseite eines Kontos - gesehen werden, ist nichts Neues. Aber neu ist, dass wir quasi als Störfaktoren im betrieblichen Ablauf gesehen werden: als ein Haufen komischer Schlümpfe, denen man bis ins Detail sagen muß, was sie wann zu tun haben, weil sie sonst ja nur Mist bauen.

Jeder Mitarbeiter sei in den Augen der Gf "wertvoll" - so hat man uns bei einer Betriebsversammlung im vorletzten Jahr gesagt.
Aber worin äußert sich diese Wertschätzung? Und worin äußert sich die Wertschätzung unserer Arbeit?
Ich sehe nur eine immer weiter fortschreitende Abwertung unserer Arbeit! Sonst nicht! Sonst überhaupt nichts!

Und ganz in dieser Logik des Mißachtens liegt es auch, - daß wir nun bei den Tarifverhandlungen so gut wie leer ausgehen sollen - daß unser AG laut über Tarifflucht nachdenkt - und daß jede tarifliche Regelung abgelehnt wird, die für den Fall weiterer Kündigungen die Situation der Betroffenen verbessern könnte.
Im Klartext heißt das: es gibt nicht wirklich mehr Geld - und das allein schon, würde ich sagen, ist irgendwie ein wenig ärgerlich. Es stimmt zwar: daß es unserer Firma dreckig geht; aber deshalb geht es uns nicht besser.
Dafür kriegst Du nämlich noch lange keinen Rabatt an der Tankstelle, keinen Preisnachlaß im Supermarkt, keine Sonderkonditionen vom Vermieter - und die reichen Ehepartner und Erbtanten sind leider auch recht dünn gesät.

(...) sondern unser Arbeitgeber stellt die Tarifbindung überhaupt in Frage (...)
Ein Tarifausstieg würde nämlich bedeuten: kein Weihnachtsgeld mehr, zehn Tage weniger Urlaub, eine Wochenarbeitszeit bis zu 45 Stunden - und das wenn es ganz dumm läuft, auch noch für weniger Geld; denn an einen Entgelttarif bräuchte unser AG sich dann ja auch nicht mehr zu halten.

Ich gebe zu: das alles ist nicht sicher - es wird ja angeblich nur darüber nachgedacht: die Gedanken sind frei, hieß es.
Aber den KollegInnen, die jetzt die Gefahr nicht sehen wollen, sich wegducken und insgeheim auf ein Wunder hoffen - und ansonsten den Beckenbauer machen: Schau' ma mol, dann seh'n ma's scho! - denen müssen wir sagen: wenn wir es sehen, dann ist es zu spät. Wir wollen es gar nicht erst sehen.

(...) und das gilt noch viel mehr, wenn es nächstes Jahr zu betriebsbedingten Kündigungen kommen sollte - denn ich darf nur kurz daran erinnern: unser Sozialtarifvertrag liegt immer noch unverhandelt in der Schublade - und wir brauchen ihn dringender denn je (...)



4 Kommentare:

  1. Ein richtig guter und mutiger Text, lieber Kollege Jürgen Horn: Vielen Dank! (Unser Berliner BR sollte sich da mal ein Beispiel dran nehmen. Doch das bleibt wohl ein frommer Wunsch!)

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    1. Auch ich finde den Text richtig gut!!!
      Es gibt in unserer Firma wirklich prima Leute, aber scheinbar NUR im
      Münchner Raum !? Hier oben bei uns passiert nichts, wir bekommen keine
      Informationen, ohne diesen BLOG, wüßte ich von gar nichts.
      Wie kann es nur sein, daß unsere Betriebsräte so unfähig sind ?
      Warum sind die Kollegen soooooooo dumm ?????
      dANKE LIEBE münchner; DANKE liebe Weltbild Kollegen !
      Ihr seid alle echt KLASSE !

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    2. Kann kein Latein, kann kein Italienisch, bin armer Buchhändler ohne Abitur. Aber nicht blöd. Großes Lob an Jürgen für seine
      Rede, die doch wieder mal auf den Punkt gebracht hat um was es geht: Um uns! Unsere Nöte, Sorgen und Ängste.
      Merci Jürgen und nicht zu vergessem, dem ganzen BR.

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  2. Danke, Jürgen! Du bist der Beste, oder - bescheiden wie Du bist - niemals selbst sagen würdest: Primus inter pares.

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