Montag, 7. April 2025

In eigener Sache

Die Infoblog-Redaktion verabschiedet sich

"Glückliche Menschen", so Sigmund Freud, "schreiben keine Romane".                              Und Beschäftigte, die gute Arbeitsbedingungen haben, gründen keine gewerkschaftlichen     Infoblogs.

Von guten Arbeitsbedingungen konnte bei Hugendubel schon seit Jahrzehnten keine Rede mehr sein. Unterirdische Löhne mit der Perspektive Altersarmut, permanenter Personalabbau, Dequalifizierung durch Kompetenzentzug, ein flaches Sortiment durch stupide Zentralisierung und keinerlei Weiterbildung und Wertschätzung bestimmten bei Hugendubel die Arbeitsbeziehungen.

Die Massenentlassung von 2009 brachte schließlich das Faß zum Überlaufen und gab den Impuls zur Gründung des gewerkschaftlichen Infoblogs www.hugendubel-verdi.de. Dem vorausgegangen war die Gründung des ver.di-Infoblogs der Kolleg*innen von Weltbild. Nach einigen Vorbereitungen startete schließlich am 1.September 2010 der Hugendubel-Infoblog. Er war von Anfang an ein voller Erfolg, vom ersten Tag an berichtete die Fachpresse und die Lokalpresse. Qualitätszeitungen wie Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Berliner Zeitung sowie Frankfurter Rundschau folgten. Weitere gewerkschaftliche Infoblogs - vorwiegend im Handel - entstanden.

Dieser Infoblog baute gewerkschaftliche Gegenmacht auf, indem er als autonome Internet-Plattform das Informationsmonopol der Kapitalseite gebrochen hat. Dies betraf nicht nur die Betriebsöffentlichkeit eines einzelnen Standorts oder des Gesamtkonzerns, sondern erreichte Leserinnen und Leser weltweit, von Uruguay bis Südkorea.

Die enorme Wirkung des Hugendubel-Infoblogs zeigte sich allein schon in der Blog-Statistik:

1884 Artikel

10003 Kommentare

 1881535 Seitenzugriffe

Damit ist www.hugendubel-verdi.de einer der erfolgreichsten gewerkschaftlichen Infoblogs in Deutschland. Die Artikel schrieben Autorinnen und Autoren, organisiert von einem Redaktionskollektiv. Dass ihre Arbeit erfolgreich war, zeigen nicht nur die Klickzahlen, sondern vor allem auch die extrem hohe Anzahl von Kommentaren.

Wenn man einen Punkt aus dem breiten  Informationsspektrum des Infoblogs herausgreifen möchte, dann war dies sicher die Berichterstattung über die Streiks und Arbeitskämpfe bei Hugendubel. Hier zeigte sich was möglich ist. "Auf den Streik-Fotos lachen ja alle!", sagte eine Kollegin, die sich lange selber nicht traute mitzumachen, bis sie sich eines Tages überwand und mitstreikte. Es bedeutete die Erkenntnis, dass Streik kein krimineller Akt ist, sondern die Wahrnehmung eines Grundrechts. In der Theorie ist die Sache klar, in der Praxis bedeutete das die Überwindung der eigenen Angst. Gegenmacht heißt hier bei jedem einzelnen zunächst Self-Empowerment.

 

Als wir die Schallmauer von 1.000.000 Million Klicks durchbrochen haben, schrieb uns ein Kollege, der bei Hugendubel JAV-Vorsitzender war und später Gewerkschaftssekretär: 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

eine Million Seitenaufrufe, eine derart starke Medienpräsenz und die zahlreichen positiven Solidarisierungen habe ich damals bei der Gründung des Blogs wirklich nicht erwartet. Das Team der gewerkschaftlich organisierten Kolleginnen und Kollegen aus ganz Deutschland hat hier etwas Großes in der noch größeren Welt der neuen Medien geschaffen. Mittlerweile wird der Internetblog als gewerkschaftliches Instrument genutzt, Branchen-, Lokal- aber auch überregionale Zeitungen berichten über die veröffentlichten Artikel, welche eine andere Darstellung der in den Betrieben geltenden Arbeitsbedingungen zeigen. Die tatsächlichen Arbeitsbedingungen nämlich, abseits aller Schönfärberei! Diese geschaffene Gegenöffentlichkeit gibt uns neue Möglichkeiten und ergänzt das Portfolio des gewerkschaftlichen Organizings. Das Wirken unser ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen wird in den Gremien der Gewerkschaft gestärkt. Hoffen wir, daß alle gewerkschaftlich organisierten Betriebsrätinnen und Betriebsräte bei Hugendubel die Chance dieser Kommunikations-Plattform erkennen und nutzen!

Die Artikel selbst entstehen in der Freizeit, eine gebildete Blog-Redaktion sammelt Informationen und Artikel, mitarbeiten kann jede/r. Ironisch, bildlich, sarkastisch, humoristisch und direkt, zum Teil traurig, manchmal aggressiv, so habe ich den Blog in den vergangenen Jahren seit Gründung erlebt. Aber immer im Rahmen bleibend, ohne Diffamierung. Viele Realitäten wurden treffend beschrieben, oftmals an´s Herz gehend. Für dieses gewaltige Engagement der Verantwortlichen meinen herzlichen Dank an dieser Stelle"

 

Wie eingangs erwähnt, ist dies ein Abschieds-Artikel. Sind demnach alle Probleme der Beschäftigten bei Hugendubel gelöst und der Infoblog nicht mehr notwendig? Keineswegs.

Warum dann also der Abschied? Der Grund ist relativ simpel. Die Mitglieder der Redaktion und die Autorinnen und Autoren, die in den letzten Jahren die Arbeit leisteten, haben sich alle beruflich neu orientiert. Ein funktionierender gewerkschaftlicher Infoblog hat aber eine Grundvoraussetzung: aktive ver.di-Mitglieder im Betrieb, die bereit sind, ihre Zeit und Energie - sprich: Arbeit - zu investieren. Dies ist aber nicht der Fall. Und wer glaubt, einen derartigen Infoblog "auf Sparflamme" machen zu können, hat keine Ahnung, wie social media funktioniert. Im übrigen war es immer Grundkonsens der Infoblog-Redaktion, dass dieses erfolgreiche Projekt niemals zu einem Zombie-Blog verkommt, wo alle paar Monate mal ein Alibi-Artikel erscheint.

Wir haben 14 Jahre lang durchgehalten, das ist für das Internet eine kleine Ewigkeit.        Zur Klarstellung: www.hugendubel-verdi.de wird nicht abgeschalten, sondern bleibt als Archiv für viele wichtige und interessante Artikel weiter online.

 

Wie sieht die gewerkschaftliche Perspektive aus? Den Beschäftigten bei Hugendubel muß klar sein/werden, dass kein höh´res Wesen, kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun sie aus ihrem Elend erlösen wird. Übrigens auch kein Gewerkschaftssekretär oder eine Tarifkommission.

Es gibt nur eine Person, die für die Zukunft verantwortlich ist: Das ist derjenige oder diejenige, die sich morgens im Spiegel ansieht. Denn die Befreiung der Arbeiterinnen und Arbeiter kann nur das Werk der Arbeiterinnen und Arbeiter selbst sein." (Karl Marx).

"The future has not been written." (John Connor)